600 km nonstop: Das Brevet Odyssey to Florence – mit den roten Teufeln in die Toskana

by Sara Hallbauer

2023 lautet das Motto: Paris Brest Paris is calling! Für die Qualifikation brauche ich noch einen 600er. Ein guter Grund also mich im Rahmen der Odyssey to Florence auf den langen Weg von Bellinzona in der Schweiz nach Florenz zu begeben. 

Odyssey to Florence - das Video

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Die Key Facts zur Strecke

Die Route

Die Odyssey to Florence ist ein 606 km langes Brevet, das von Audax Suisse organisiert wird und von Bellinzona in der italienischen Schweiz über Mailand und die Poebene in die Toskana nach Florenz führt. Als höchsten Punkt der Tour erklimmt man nach 500 km den Passo della Raticosa, einer der vielen Pässe über den Hauptkamm des Apennin. Für das Finishen der Strecke hat man gemäß den Regeln des Audax Club Parisien 40 Stunden Zeit.

Distanz: 606 km 

Anstieg: 4.570 hm

Höchster Punkt der Tour: Passo della Raticosa (968)

Dauer: maximal 40 Stunden

Die Checkpunkte

Auf der 2023-er Strecke warten insgesamt 5 Checkpunkte auf uns: 

Wie kommt man nach Bellinzona hin und von Florenz wieder zurück?

Ich bin ein bekennender Flixbus Fan und nehme am Tag vor dem Event den Flixbus, der von München direkt nach Bellinzona fährt und von Florenz wieder nach München zurück. Die Anreise per Bahn funktioniert natürlich auch. Sensationeller Weise bietet Thomas, der Audax Suisse “Papi”, einen Rücktransport für sieben Fahrer von Florenz nach Bellinzona an, so dass auch einige per Auto anreisen.

Odyssey to Florence - mein Erfahrungsbericht

Andiamo! Am Start in Bellinzona

Auf geht’s ins nächste Abenteuer – am Morgen des 23.3. fahre ich von meiner Unterkunft zum Startpunkt des Brevets direkt unter dem Castello di Montebello in Bellinzona, wo bereits andere Radler:innen auf den Start um 8:45 warten. 

Eine für ein so langes Brevet eher später Startzeit – ermöglicht aber einigen Brevet Kollegen:innen die Anreise mit der Bahn am selben Tag. Es folgt der obligatorische Ausrüstungscheck: 2 Lampen, 2 Rücklichter und eine Sicherheitsweste sind Pflicht! Meine Tasche gebe ich bei Thomas ab, denn ich habe gegen eine kleine Gebühr den Gepäcktransport nach Florenz gebucht. Was für ein Luxus!  Noch eine Ansprache vom Audax Papi mit den wichtigsten Infos zur Strecke und schwups – machen sich die Radler:innen auf den Weg in die Toskana. 

“Die Strassen in Italien sind der Teufel - der Rest ist der Himmel”

Naja, wie immer bei nem 600er sind nicht besonders viele Mädels am Start. Neben mir zähle ich gerade einmal drei weitere Frauen. Aber vielleicht kann dieser Beitrag Euch ermuntern, es uns gleich zu tun. Denn es erwartet Euch ein episches Abenteuer, das Ihr sicherlich nicht so schnell vergessen werdet – versprochen! 

Das erste Mal am Lago und leider schlechtes Wetter

Leichter Niesel fällt auf uns herab, als sich das große Feld aus Bellinzona hinaus begibt. Auf den ersten 100 Kilometern warten mit 1600 Höhenmetern ein Drittel der gesamten Höhenmeter auf uns. Bereits nach 30 Minuten folgt der erste Stop, um Regenhose und -jacke anzuziehen. Das geht ja schonmal gut los. Leider ist vom Lago Maggiore nicht viel zu erkennen. Dass es hier ganz schön sein kann, lassen lediglich die Palmen erkennen, die ihre Wedel im Regen nach unten hängen lassen. 

Der heilige Berg: Sacro Monte di Varese

Oben auf dem Monte di Varese erwartet uns Nebel und eine feucht fröhlich gedrückte Stimmung. Fröhlich, da nach 79 km der erste Checkpunkt erreicht ist. Gedrückt, weil im Nebel das Ziel nicht wirklich gut zu erkennen ist. Schnell wieder hinab, denn hier oben am Berg ist es ganz schön fröstelig. 

“Sollen wir eine Essenspause in Varese einlegen?” fragt mich Wolfgang – my best teammate 👯  – mit dem ich dieses Jahr den 600er wieder zusammen fahre. Brrr…mir ist so kalt, dass ich mich gar nicht hinsetzen mag. Ich muss mich nach der Abfahrt erst wieder warm fahren und so geht es schnurstracks weiter Richtung Milano.

Platten, der erste! 

Kurz vor Mailand ereilt uns der erste Platten der Tour. Ein riesiges Metallstück hat Wolfgangs Mantel durchbohrt. Eine kleiner Vorgeschmack, was in den nächsten 24 Stunden noch alles kommen mag – Insgesamt kommen Wolfgang und ich auf 4 Platten und einen zerschlissenen Mantel – so viel sei schon einmal vorweg gesagt. Absoluter Pannenrekord. 

Schock - Ladekabel meiner Lampe vergessen 

Auf dem Weg nach Mailand halte ich immer wieder die Augen nach einem Radgeschäft offen, denn ich habe das Ladekabel meiner Supernova Airstream zu Hause vergessen 🙈. Ich ärgere mich vor allem über meine eigene Blödheit, aber auch über den Hersteller zu Tode: warum kann man da kein USB-C oder ein Mini-USB Ladekabel einbauen? Das könnte man wenigstens überall kaufen oder sich von den Kolleg:innen ausleihen.

Wie eine Oase mitten in der Wüste tut sich am Himmel ein Decathlon Logo am Horizont auf, das Wolfgang als Erster erkennt. Ich kann mein Glück kaum fassen und stürme den Laden. Viel Auswahl gibt es nicht und meine Wahl fällt auf eine kleine Lampe für 39,90. Deren Akku ist nicht besonders gut, aber diese Lampe kann ich wenigstens mit meiner Powerbank während der Fahrt laden.

Ciao Milano

Das bedeutet natürlich auch, dass wir mit den ungeplanten Stopps viel langsamer als geplant unterwegs sind – und natürlich ist die Fahrt durch die Innenstadt von Mailand an einem Freitagabend auch nicht ohne. Der Verkehr und die Fußgänger in der Innenstadt drosseln das Tempo, ein ewiges Stop & Go. Um 17:15 erreichen wir nach 153 km den zweiten Checkpunkt, den Mailänder Dom. 

Ponte Coperto

Weiter geht’s auf einem Radweg entlang des Kanals Naviglio Pavese, es wird Zeit, die Lampen anzuschalten. Nicht mehr weit bis zum nächsten Checkpunkt in Pavia: Wir erreichen die Ponte Coperto um 19:40 Uhr. Hier verdrücken wir zur Feier des Tages erstmal  eine Pizza. Die haben wir uns nach 189 geradelten Kilometern wirklich verdient! So richtig entspannen kann ich mich beim Essen aber nicht: Die Uhr tickt, die Nacht steht bevor und der nächste Checkpunkt ist 179 km weit weg – eeeewig!

Durch die Poebene 

Ganz gut, dass wir die langweilige Poebene in der Nacht durchfahren. Es ist angenehm warm und bis auf Piacenza, Cremona und Casalmaggiore gibt es wohl auch nicht viel zu sehen. Die Fahrt wird  unterbrochen von Wolfgangs zweiten Platten. Ein riesiges Schlagloch hat ihm den Garaus gemacht. Weitere Unterhaltung bieten ein aufgrund einer Baustelle geschlossener Bahnübergang und unser nächtlicher Spaziergang. Den legen wir ein, um uns die Füße kurz zu vertreten, bissel zu quatschen und so gegen die einsetzende Müdigkeit anzukämpfen. 

Guastalla - Checkpunkt mit Verpflegungsstation

Ich zähle die Kilometer, bis wir endlich Guastalla erreichen. Hier kommen wir über einen Schotterweg direkt zum Agriturismo, das Thomas für alle Brevet-Fahrer gebucht und einen Checkpunkt mit Verpflegungsstation aufgebaut hat (wo gibt es bitte einen solch sensationellen Service?!) Doch meine Vorfreude wird jäh getrübt, als uns eine Meute aggressiver Hofhunde anbellt und umstellt. Puh, schnell runter vom Rad, damit die Hunde die Fahrt nicht als Fluchtversuch werten. Alles geht gut und so stehen wir morgens um 4:31 am Buffet, essen Suppe und futtern das Fresspaket leer. Den Hahn, der da die ganze Nacht kräht, schmeissen wir beim nächsten Mal in den Suppentopf! Im Wohnzimmer des Agriturismo liegen kreuz und quer die Radler umeinander, ich ergattere mir ein Plätzchen auf dem Boden direkt hinter dem Tresen. Ich schließe für 30 Minuten die Augen. Das tut gut.

Tag 2 - Geht schon wieder gut los

Wie soll es auch anders sein: Der nächste Morgen beginnt mit einem…. ratet mal?! Platten! Nach 30 Minuten Radeln im Sonnenaufgang auf Schotterwegen macht dieses Mal mein Hinterreifen schlapp. Der Schlauch ist schnell ausgetauscht. Zu meinem Entsetzen entdecke ich aber einen Riss im Mantel. Noch ist der Mantel ganz – die Frage ist nur, wie lange er noch halten mag. Dieses mulmige Gefühl kenne ich ganz gut. (Lest hier meine Northcape4000 Story, in der mein Mantel auch eine besondere Rolle gespielt hat.)

Glück im Unglück - was anderes haben wir auch nicht verdient 

Wahrscheinlich hat Thomas in weiser Voraussicht den Track an einem Radladen vorbei geplant. Wir können unser Glück kaum fassen, als wir  in Sassuolo eine Möglichkeit finden, den Mantel zu tauschen. Das Motto der Tour bisher lautet also: 

Wenn wir fahren, dann fahren wir schnell - nur halt nicht so oft 😂.

Immer Richtung Bologna 

Es geht auf zackigen Wegen immer Richtung Bologna. Ganz schöne Entsafter, die einem Kraft rauben, aber auch für Abwechslung sorgen. Nachdem wir auf dem Weg dahin noch schnell Platten Nummer vier repariert haben, kaufen wir in Bologna für die letzten verbleibenden Kilometer Proviant ein. Denn es steht uns der letzte und anspruchsvollste Teil der Tour bevor: Nach 500 Kilometern Fahrt geht es nochmals 1000 Höhenmeter zum Passo della Raticosa (968) und danach zum Passo della Futa (903) nach oben. 

Puh, müde bin ich - Cola muss es richten 

Die “durchzechte” Nacht hat ihre Spuren hinterlassen. Der Anstieg fällt mir schwer, zumal uns ein heftiger Gegenwind entgegen bläst und die vielen Töff Töffs den Aufstieg nicht gerade angenehm gestalten. Ein bisschen Motivation bietet das Toskana Schild, das wir passieren. Es kann also nicht mehr weit sein. So ist es auch, jede Anstrengung geht irgendwann vorüber:

Oben angekommen, lasse ich mir die warme Cola, die ich 1000 Höhenmeter nach oben geschleppt hab, schmecken. Ich lache innerlich über die Sportwagen Fahrer dieser Welt. Alles Verrückte. Das denken die im Gegenzug über uns bestimmt auch – jeder also so wie er mag 🖤.

Noch 45 Kilometer bis Florenz und es ist geschafft 🥳 🥳🥳

Ein tolles Gefühl, das meiste ist geschafft. Noch eine Abfahrt im Sonnenuntergang mit großartiger Stimmung und meinen Weggefährten Wolfgang und Patrick, die elegant um die Kurven flitzen. So macht das richtig Spass. Es folgt nur noch ein kleinerer Anstieg, dann ist es vorbei! Wir lassen es laufen und laufen und erreichen schließlich um 21:15 Uhr (nach 27 Stunden Fahrtzeit und 36 Stunden gesamt) die Piazzale Michelangelo –  ein würdiger Abschluss dieses wundervollen Brevets.

Fazit - 600 Kilometer non stop - Odyssey to Florence

Was für ein episches Abenteuer, mit allem was dazu gehört: Regen, Platten & Pannen, Schlaglöchern, wahnwitzigen Autofahrern und knurrenden Hunden. Das mag für einige Abschreckung genug sein, es überhaupt zu versuchen – oder Grund genug, uns für bescheuert zu erklären. Letztendlich sind aber doch alle Pleiten Herausforderungen, die Du bewältigen und hinterher stolz auf Dich sein kannst.

"Das Ziel im Leben ist nicht auf der Seite der Mehrheit zu stehen, sondern zu entfliehen um sich in den Reihen der Wahnsinnigen wiederzufinden."

Alles in allem überwiegt deutlich der Spaß an dieser ganzen Aktion. Ich hab in 1,5 Tagen so viel erlebt wie andere in einem ganzen Urlaub nicht. Mit dieser Energie komme ich wieder zurück in meine Arbeitswoche und sehne mich schon nach dem nächsten, “kleinen” Ausflug. Mal schauen, wohin mich dann die Reifen rollen werden…. Ich werde berichten. 

Ein riesiges Dankeschön geht an 

  • den besten Brevet-Gefährten dieser Welt – Wolfgang – für den Spass, die Bilder und Videos der Tour. 
  • den Audax Papi, der wirklich ein tolles Brevet auf die Beine gestellt hat. Hier gehts zur Audax Suisse Website
  • die vielen Weggefährten, die immer ein nettes Wort und Hilfestellung für uns übrig hatten. Wir seh’n uns spätestens in Rambouillet. 🤗

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7 comments

Luisa 21. Januar 2024 - 12:51

Hallo Sara, wirklich ein cooler Blog, der Lust macht, sofort mit dem Brevet-Fahren zu beginnen! 🙂 Ich werde mich dieses Jahr unbedingt dran wagen und wenn 300 oder 400 klappen dann auch direkt ein 600er mal probieren.
Liebe Grüße
Luisa

Reply
Sara Hallbauer 28. Januar 2024 - 9:05

Hallo Luisa,
cool – freut mich voll, wenn ich Dich motivieren kann, noch mehr und längere Strecken zu fahren. juhuu 🙂
Vielleicht wäre ja auch die Werdenfelser Rundfahrt was für Dich? Am 20.7. findet das erste Brevet Deutschlands nur für Frauen statt. https://aramuc.de/brevets/200-km-werdenfelser-frauen-rundfahrt-2024
Es wäre so mega, wenn wir so viele Mädels wie möglich zusammen kriegen 🦸‍♀️ und wir uns dann auch mal kennenlernen.
Lieben Gruß
Sara

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Johannes 19. April 2023 - 13:23

Herzlichen Glückwunsch, starke Leistung!

Ich plane auch einen 600er dieses Jahr – und frage mich noch, wie es mit der Nacht aussieht: Lampe und so ist alles klar und vorhanden, aber sollte man (ich werd’s allein und unorganisert angehen) einen Schlafsack (oder ähnliches?) einpacken, um sich ggf. mal auf’s Ohr zu legen? Du hast ja auch eine (mittelgroße) Tasche dabei – was hast du so eingepackt?

Reply
Sara Hallbauer 21. April 2023 - 7:03

Hallo Johannes,
also ich hatte folgendes dabei:
– Daunenjacke
– Regenhose und Jacke
– Weste
– Überschuhe
– 2 Paar Handschuhe
– 2 Paar Socken (Radsocken und einmal dickere falls es kalt wird)
– Eletronik
– Mini-Waschbeutel
– Erste Hilfe Decke für den Notfall bzw. Notfallbiwak (der ist aber so dünn, dass ich ihn nicht zum schlafen her nehme. Ich kann auch mit der Folie der Wärmedecke nicht schlafen, da die die ganze Zeit raschelt und man sich damit nicht richtig zudecken kann). Beim nem 600 schau ich ob es auf der Strecke ein 24 Stunden Ibis gibt, da hab ich z.B. nach 380 km beim Mont Ventoux Brevet für eine Stunde Halt gemacht um kurz zu pennen. Schlafsack hab ich eigentlich bei einem Brevet nie dabei, da ich ihn nicht schleppen mag. Für ein Power Nap zieh meistens nur meine Daunenjacke drüber und such mir ein geschütztes PLätzchen. Aber da ist ja jeder so seine Vorlieben.
Viele liebe Grüße 🤗

Reply
Ronald Wolf 3. April 2023 - 21:27

Nein , noch nicht gefahren.
Zu spät auf den Geschmack gekommen, zu schwer, zu kaputt (u.a. Herzschrittmacher)
Aber ich versuche so nahe wie möglich an die 600 km heran zu kommen, okay, erst einmal an die 200 Km.
Ronald

Reply
Sara Hallbauer 8. April 2023 - 14:10

hi Ronald,
lieben Dank für Deinen Kommentar – immer in Etappen, d.h. in kleinen Schritten – denken, das ist doch das eigentliche Erfolgsrezept.
Lieben Gruß und fröhliche Osterfeiertage
Sara

Reply
Rudi 3. April 2023 - 11:29

Ja, schon gefahren – ist allerdings eine Weile her…
https://www.kilometermacher.at/600er-brevet-in-ooe/

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