âMöge der Wind Dich bis an die MittelmeerkĂŒste tragenâ brĂŒllt Arnaud, der Veranstalter des Race Across France, ins Mikrofon und gibt mir einen ordentlichen Klaps auf die Schulter. Es ist Samstag, der 18.6.2022, 18.48 Uhr: Ich rolle von der BĂŒhne die steile Rampe auf die Promenade hinunter. „Arsch nach hinten, Arsch nach hinten!!â denke ich mir nur. Denn meine gröĂte Sorge ist nicht das Unterfangen, das vor mir liegt, sondern ein Sturz auf eben dieser Rampe. Blamage komplett, vor all den Leuten, nicht mal eine Sekunde nach dem Start. Doch es geht gut, die erste HĂŒrde ist geschafft. Unter dem tosenden Applaus des Publikums, das hier in Le-Touquet-Paris-Plage, an der CĂŽte dâOpal zusammengekommen ist, starte ich als eine von drei Frauen in mein nĂ€chstes Radl – Abenteuer: Das Race Across France (RAF).
Inhaltsverzeichnis
Die Key Facts zum Race across France
Es geht in maximal 10 Tagen einmal durch Frankreich, von der AtlantikkĂŒste im Norden Frankreichs ĂŒber 2.600 Kilometer und ca. 37.000 Höhenmeter ĂŒber die Alpen ans Mittelmeer nach Mandelieu de Napoule.Â
Die Fahrer können im Team oder alleine in den Kategorien Supported oder Unsupported starten und sich entscheiden, ob sie 300, 500, 1.000 oder 2.500 km fahren wollen.
Distanz: 2.600 km
Anstieg: 37.000 hmÂ
Höchster Punkt:
Col de l'Iseran (2.770 m)
Dauer:
9 Tage
Ich entscheide mich natĂŒrlich fĂŒr die lange Route und breche alleine zu meiner eigenen Tour de France auf, zur Tour de France der Bikepacker! Wie immer unsupported natĂŒrlich, ein wĂŒrdiger Nachfolger meines Nordkap Abenteuers aus dem letzten Jahr.
Hier gehts zur Race across France Collection auf komoot
Mein Erfahrungsbericht
Race across France Tag 1: Appetite for DestructionÂ
Das Event hab ich mir passend zum Motto meines Blogs „Raus aus dem Windschatten, rein ins Abenteuer“ gut rausgesucht. Denn Windschatten Fahren ist beim RAF nicht erlaubt. Die Fahrer starten anstatt im Pulk nacheinander im Minutentakt, in der Reihenfolge ihrer Anmeldung.Â
Mich packt das Rennfieber in der ersten Sekunde. Die Beine sind frisch, die Stimmung ist gut. Ich bin weit ĂŒber meinem Schwellenwert. âSara, das hier ist ein Marathon und kein Sprintâ denke ich mir noch. Doch ich kann nicht anders. Ich hab den ganzen Tag auf diesen Startschuss gewartet. Wer hat eigentlich beschlossen, so ein Event am Abend beginnen zu lassen? Ich als Morgenmensch bin noch nie eine Nacht komplett durchgeradelt. Wohl wissend, dass mir das Adrenalin keine Ruhe lassen wird, ist aber genau das mein Plan. Schauen wir also, wo mich das hinfĂŒhren wird. Das hier wird ein „All in“ bzw. ein „All Out“ â soviel ist auf jeden Fall sicher.Â
AtlantikkĂŒste: Wo der Wind immerzu rauscht
Ich fahre in der AbenddĂ€mmerung auf kleinen Strassen am Atlantik entlang. Edwyn Collin’s Beat ist Metronom und Taktgeber. Der Song treibt mich an und ohne Unterlass vorwĂ€rts: âNever met a girl like youâ dröhnt es auf Dauerschleife in meinen Ohren.
Regen, mein Dauer-Begleiter in dieser SaisonÂ
Um halb 12 Uhr nachts setzt Niesel ein, der bald zu strömenden Regen wird. Wind weht ungemĂŒtlich vom Atlantik her. Ich kĂ€mpfe mich durch diese Midsommer Nacht, es vergeht Stunde um Stunde. Nach 227 Kilometern bin ich in Le Havre und fahre ĂŒber die BrĂŒcke der Normandie, eine SchrĂ€gseilbrĂŒcke, die mit 856 m die gröĂte Spannweite in Europa besitzt. Es wird langsam Zeit fĂŒr eine Pause, doch ich steige nicht ab. Hier gibt es nirgendwo ein trockenes PlĂ€tzchen und ich möchte auf gar keinen Fall auskĂŒhlen. Da ist Omaha Beach. Bei der Vorstellung, was hier im zweiten Weltkrieg los war, wird mir schlecht.
Sonntag morgens in der Normandie, alles dicht
Ich hab die Nacht gut ĂŒberstanden, nur wird es langsam Zeit fĂŒr etwas Warmes. Es regnet immer noch. Dass die Versorgungslage hier suboptimal ist, wusste ich, aber dass hier weit und breit keine Boulangerie offen hat? So wird es halb 10 Uhr morgens bis ich endlich eine finde und die erste Pause mit Kaffee und Pain au Chocolat einlegen kann. Ich genieĂe den ersten Kaffee des Tages, kaufe auf Vorrat ein und weiter gehtâs. Es bleibt ungemĂŒtlich.
Ich drohe vom Sekundenschlaf ĂŒbermannt zu werden
Ab 14 Uhr merke ich, dass die âdurchzechteâ Nacht ihren Tribut fordert. Ich muss mich ausruhen und meine komplett durchnĂ€ssten Sachen trocknen. So buche ich ein Hotel in der nĂ€chst gröĂeren Stadt: Als ich um 16 Uhr nach 452 gefahrenen Kilometern Avranches erreiche, muss ich die letzten Kilometer schieben. Ich kann meine Augen nicht mehr offen halten. Im Hotel gönne ich mir eine Dusche und lege mich aufs Ohr. Doch die Pause wĂ€hrt nicht allzu lange. Um 19 Uhr geht es weiter, schlieĂlich ist noch nicht aller Tage Abend.
Mont-Saint-Michel und Saint-Malo sind Highlights der Tour
Es wartet eines der groĂen Highlights dieser Tour auf mich: Der Mont-Saint-Michel!! Schon von weitem zu erkennen. WOW. Ich mache viele Fotos â schlieĂlich bin ich im Herzen nicht nur Racer, sondern auch Radtourist!Â
Abends erreiche ich schliesslich Saint-Malo. Ich bin in der Bretagne angekommen. Mir bleibt erstmal die Spucke weg: Das Blau des wilden Atlantiks in der AbenddÀmmerung ist wunderschön und die Festungsstadt ist so imposant, dass ich hier unbedingt nochmals herkommen muss!
Mein erster Tag endet schlieĂlich in Comburg. Als ich hier nachts um kurz nach 12 mein Wahoo ausmache, stehen 555 Kilometer, 22 Stunden Fahrzeit mit nem 25er Schnitt auf dem Tacho. Ups.
Race across France Tag 2: Bretagne: die KĂŒhe sind hier weiss statt braunÂ
Der zweite Tag fĂŒhrt mich durch das Landesinnere von Frankreich. Hier ist weit und breit nix los. Ich erreiche den ersten Checkpunkt in Quelaines-Saint-Gault und hole mir meinen ersten Stempel ab. Auf die Bretagne folgen die LĂ€nder der Loire. Der Track fĂŒhrt direkt am Schloss Chambord vorbei, das gröĂte Schloss des gesamten Loiretales.
Meine Schlaf- und Ăbernachtungsstrategie
Um Gewicht zu sparen habe ich weder Schlaf-, noch Biwacksack noch Isomatte dabei. In diesem Race setze ich voll und ganz auf eine Hotelstrategie. Die wenigen Stunden, die ich schlafe, möchte ich so gut wie möglich schlafen.
Trailangel #1: Der Hotellier Saint Cyr đ
Da in Frankreich die Rezeptionen nur bis 22 Uhr besetzt sind, rufe ich in jedem Hotel persönlich an. So auch am zweiten Tag im Hotel Saint Cyr, das mitten im Nationalpark âReserve Nationale de Chasse et Faune Sauvage de Chambordâ liegt. Der Hotelier bittet mich jedoch ein anderes Hotel nehmen. Ich verstehe nicht ganz warum. Als ich ihm erklĂ€re, dass ich beim RAF mitmache und nur ein klitzekleines Mansarden Zimmer ohne FrĂŒhstĂŒck brĂ€uchte, willigt er schlieĂlich ein und bietet mir ein Zimmer an. Ich solle nachts anrufen, wenn ich vor dem Hotel stehe. Er kĂ€me dann.Â
Als ich nachts um halb eins ankomme, liegt das Hotel im Dunkeln, im gesamten GebĂ€ude brennt kein Licht. Mit einem mehr als mulmigen GefĂŒhl im Magen rufe ich den Hotelier an und bin mir sicher, dass keiner abhebt. Doch falsch gedacht! 10 Minuten spĂ€ter kommt er angefahren, begrĂŒĂt mich herzlichst, schlieĂt sein Hotel auf und macht das Licht an. Nun wird mir klar, was hier los ist: Ich bin der EINZIGE Hotelgast. Der Hotelier hat extra nur fĂŒr mich sein ganzes Hotel aufgeschlossen!!! Und das nur, weil er selber riesen groĂer RAF Fan ist und mir unbedingt weiterhelfen wollte. Unfassbar!Â
Race across France Tag 3: Jetlag komplett – Mann, bin ich mĂŒde!
Leider schlafe ich in dieser Nacht sehr schlecht. Ich höre drauĂen ein tosendes Gewitter stĂŒrmen und Ăste durch die Gegend fliegen. Mann, hab ich keinen Bock auf sowas. Regen macht auf Dauer mĂŒrbe. Als das Gewitter um halb vier eine Pause einlegt, springe ich nach zwei Stunden Schlaf aus dem Bett, packe meine Sachen und fahre weiter. Ich möchte die Zeit ohne Wasser von oben nutzen, um so weit wie möglich zu kommen.
Das klappt leider nicht so wie gedacht. Der dritte Tag meiner Tour wird ultra zĂ€h. Ich komme kaum vorwĂ€rts, von Flow ist nichts zu spĂŒren. Ich muss mich mehrfach ins nasse Gras an den Strassenrand legen und die Augen zumachen.Â
Hinzukommt, dass meine FĂŒsse von den dauerhaft nassen Schuhen angeschwollen sind, die Cleatplatten sind deutlich zu spĂŒren und drĂŒcken auf meine Fussballen, die immer empfindlicher werden. Ich kann die Schuhe nicht mehr zu machen.Â
Immerhin schaffe ich es an diesem Tag noch bis an den zweiten Checkpoint in Gueignon und ĂŒbernachte an diesem Tag nach nur 278 Kilometern und 1.824 Höhenmetern in Charolles.
Race across France Tag 4: Die Col-lection beginnt!
WĂ€hrend die ersten 1.200 Kilometer des Races noch relativ flach waren, starte ich ab Lyon mit meiner Col-lection, es wird bergig: Col des Einceints, Col de Fosses und Col du Chat.
Gewitter-Warnung und Entwarnung
Als ich abends um 19:30 Uhr beim Mc Donalds in Aix le Bains sitze und meine E-Mails checke, sehe ich, dass der Veranstalter am Nachmittag zunĂ€chst eine Gewitterwarnung heraus- mittlerweile jedoch wieder eine Entwarnung durchgegeben hat. Ich mache mich also auf, den Col de Leschaux zu erklimmen.Â
Hagel und strömender Regen. An eine Weiterfahrt ist nicht zu denken!
Um 21 Uhr fĂ€ngt leichter Niesel an, kurz danach beginnt es so richtig zu schĂŒtten und der Himmel verdunkelt sich schlagartig. Aus dem Regen wird schlieĂlich Hagel, dicke Körner knallen von oben herab. Das Wasser, das mir auf der StraĂe entgegen strömt, ist braun, da sich die Erde zu lösen beginnt. F**k!! Ich stecke voll und ganz im Schlamassel. Ich bin nur noch 300 Höhenmeter vom Pass entfernt, doch den werde ich unter diesen UmstĂ€nden auf keinen Fall erreichen. Was soll ich tun? Hier ist auch weit und breit kein Unterschlupf mehr!! Ich komme an eine Kreuzung und sehe etwas weiter unten zwei kleine HĂ€uschen. Mir bleibt nichts anders ĂŒbrig als beherzt an eine der TĂŒren zu klopfen und das Beste zu hoffen.Â
Trailangel #2: Nathalie đ
Eine Frau öffnet mir und starrt mich komplett verdattert an.Â
Hallo mein Name ist Sara, es tut mir leid, Sie zu stören. Aber ich mache gerade bei einem Rad-Rennen mit, dem Race across France. Ich kann wegen des Unwetters nicht weiterfahren. WĂŒrde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich heute Nacht bei Ihnen bliebe? ***Herzallerliebstes LĂ€cheln*** âșïž
Mann, Gott sei Dank hatte ich Franz-LK, sonst hĂ€tte ich in dem Moment wahrscheinlich gar nichts mehr rausgekriegt. Die Frau lacht und lĂ€sst mich erstmal eintreten, sie kann auch nicht anders, ein komplett begossener Pudel steht vor Ihrer TĂŒr. Das Gute: ich strahle sicherlich nichts Bedrohliches, sondern lediglich SchutzbedĂŒrftiges aus. Nathalie und ich machen es uns in ihrer KĂŒche gemĂŒtlich, trinken einen Tee und nach einer Dusche schlafe ich in ihrem GĂ€stezimmer ĂŒberglĂŒcklich ein.
Race across France Tag 5 â Checkpoint drei in MegĂšve ist erreicht
Im Morgengrauen erklimme ich beschwingt von diesem GlĂŒcksfall den Col de Leschaux. Die Stimmung im morgendlichen Nebel und der guten Luft ist wunderbar. Ich komme schlieĂlich zum Lac dâAnnecy, der in der FrĂŒh von vielen Rennradlern umrundet wird. Viele von ihnen sprechen mich an und wĂŒnschen mir âBonne Chanceâ. Mit dem Col de la ColombiĂšre erklimme ich den ersten richtig groĂen Pass. Mit Blick auf den Mont Blanc erreiche ich nur leider viel spĂ€ter als geplant den dritten Checkpoint MegĂšve.
Die Cut off Times sind super hart
Die harten Cut off Times machen das Race across France zu einem sehr anspruchsvollen Rennen. Insgesamt mĂŒssen die Fahrer die 2.600 Kilometer und 37.000 Höhenmeter in 10 Tagen bewĂ€ltigen. Nach 5 Tagen muss MegĂšve, der dritte Checkpoint der Tour, bei Kilometer 1.500 erreicht sein. Danach haben die Fahrer lediglich 48 Stunden Zeit, um es bis in das 552 Kilometer und 15.000 Höhenmeter entfernte Saint-Jean–en-Royans zu schaffen.
Wie soll ich das schaffen? Durch das Gewitter habe ich sehr viel Zeit verloren.
Durch das Gewitter am Col de Leschaux habe ich sehr viel Zeit verloren und kann anders als geplant nur 4 Stunden Zeit rausfahren. In mir macht sich die totale Panik breit. Ob das jetzt noch zu schaffen ist? Ich hab keine Ahnung. Vor mir liegt nicht nur EINE Mammut Aufgabe, sondern gleich MEHRERE: die höchsten PĂ€sse der französischen Alpen, hintereinander gereiht auf der Route de Grandes Alpes. Da hilft nur noch eins: ab jetzt Vollgas, Schluss mit „luschdig“ und female full force voraus! đ
Die Route des Grandes Alpes
Meine Festplatte ist gelöscht. Ich hab komplett vergessen, in welcher Reihenfolge welcher Berg erklommen werden muss, Zeit auf meinen Spickzettel zu schauen hab ich auch nicht. Jetzt ist eh schon alles egal. Ich folge stumpf der Linie auf meinem Wahoo und erklettere den Col du Meraillet, den Col de Saisies und den wunderschönen Cormet de Roselend. Ich nehme noch den Anstieg zum Col dâIseran in Angriff, ruhe mich aber kurz in einem kleinen Chalet vor Val dâIsĂšre aus und schlafe ein paar Stunden. Der fĂŒnfte Tag ist mit 217 Kilometern und 5.235 Höhenmetern nicht ohne, und so geht es am nĂ€chsten Tag gerade weiter.
Race across France Tag 6: Angst vor einem zweiten Mal Eisregen am Pass
Am nĂ€chsten Morgen geht es um vier Uhr los. Um sieben Uhr morgens erreiche ich schlieĂlich den Gipfel des Col de lâIseran auf 2.770 Metern. Es folgt eine wunderschöne 70 (!) Kilometer lange Abfahrt vom höchsten ĂŒberfahrbaren Gebirgspass der Alpen bis nach Saint Michel de Maurienne. Im Nieselregen und Nebel steige ich auf den Col du TĂ©lĂ©graphe. Oben angekommen schĂŒttet es in Strömen. Ich mache eine Pause im Relais de TĂ©lĂ©graf, stopfe 2 Muffins in mich rein und ĂŒberlege was ich tun soll. Es steht die Auffahrt zum Galibier auf 2.642 Metern bevor, doch das in diesem Regen? Ich hab panische Angst nochmals ein zweites „Teide“ zu erleben. Bei meinem Gran Guanche Audax Road bin ich im Januar diesen Jahres bei 2 Grad und Eisregen auf dem höchsten Berg Spaniens halb erfroren.
Gut ausgerĂŒstet geht es im strömenden Regen auf den Galibier
Ich fahre weiter, Gott sei Dank gibt es in Valloire einen Intersport. Ich stĂŒrme den Laden und kaufe eine ultra dicke Wanderregenjacke mit Kapuze und eine Herren-Merino-Unterhose in XXL. Alle anderen Unterhosen sind jetzt im Sommer ausverkauft.Â
Im Takt von November Rain von Guns n‘ Roses pedalliere ich im strömenden Regen nach oben. Der Regen prasselt auf meine Kapuze. Das Ganze hat durchaus etwas meditatives und ich kann diese Auffahrt genieĂen. Um 15 Uhr stehe ich nach unendlich vielen Kehren auf dem Gipfel des Col Du Galibier. đ„ł
Ich bin Gott froh um meine dicke AusrĂŒstung, denn damit bin ich fĂŒr die Abfahrt ĂŒber den Col du Lautaret gut gerĂŒstet. SchlieĂlich gehtâs nochmal hoch zum Col de Sarenne und von da aus in das ultra hĂ€ssliche Skiressort Alpe dâHuez, wo meine Etappe endet.Â
Race across France Tag 7: Wie soll ich das nur schaffen?
Tag 7 wird der hĂ€rteste Tag der Tour. Die Uhr tickt, der Countdown lĂ€uft, ich muss heute den Checkpoint in St. Jean-en-Royans erreichen. Wenigstens eine Frau muss hier durchkommen. Silvia und Anne haben es leider nicht bis an den Checkpoint in MegĂšve geschafft. Ich fĂŒhle mich nicht nur wie das letzte Einhorn auf dieser Erde, sondern jetzt bin ich es auch!
Sara, Du bist die letzte Frau im Rennen! Das musst jetzt aber durchziehen! đŠžââïž
Das schreibt mir meine Schwiegerma Monika ĂŒber What’s App. Ja klar. WĂŒrde ich ja gerne, doch wie soll ich das nur schaffen? Um halb drei Uhr morgens sitze ich auf dem Rad, fahre im Dunkeln hinab nach Oz und stehe um sieben Uhr morgens auf dem Col du Glandon. Die gute Nachricht: Das Schlimmste ist schon ĂŒberstanden – bilde ich mir ein. Danach folgen „nur“ noch kleinere PĂ€sse um die 1.000 Meter. Die Fahrt bleibt aber anstrengend, da der Track neben diesen Cols auch noch durch das zackige Bergland östlich von Grenoble fĂŒhrt.
Trailangel #3: Vincent đ
In Grenoble angekommen mache ich mich mit allerletzter Kraft auf zum letzten Anstieg des Tages: Es geht 800 Höhenmeter nach Saint-Nizier du Moucherotte hinauf. Ich bin dazu verleitet aufzugeben und mir ein Hotel zu nehmen. Sch*** drauf! Doch als ich die letzte Kurve erklimme, sehe ich einen mir Unbekannten am Strassenrand stehen, applaudieren und laut rufen: âAllez, allez, Sara, Du hast es bald geschafft! Nicht mehr weit!!!â Ăh, gibtâs hier noch ne andere Sara? Ich dreh mich rum, aber nein, der meint ja mich! Ich halte an.Â
Vincent, ein RAF Fan, wohnt hier und feuert alle Radler an, die vorbeikommen.Â
Er beobachtet das Rennen und folgt den Dots auf der offiziellen Renn-Website. Er erklĂ€rt mir, dass wir hier genau auf der 2.000 Kilometer Marke stehen. Bis nach St. Jean brĂ€uchte ich es nur noch runterrollen lassen. Und das wĂŒrde ich jetzt auch noch hinkriegen. Von Fremden angefeuert werden – that’s the spirit hier in Frankreich und gibt mir einen ordentlichen Push, um das hier durchzuziehen!Â
Es folgt eine 50 Kilometer Abfahrt durch die imposante Gorge de la Bourne im wunderschönen âParc Naturel Regional du Vercorsâ. Ich erreiche im Stockdunkeln nach 266 Kilometern und 5.398 Höhenmeter den vierten und wichtigsten Checkpunkt der Tour.Â
Der Veranstalter hat aufgrund des Unwetters die Cut off Times leicht nach hinten verschoben. Und ich? Ich habâs gepackt, ich bin immer noch im Rennen und freu mich wie eine Schneekönigin, unfassbar! đ„ł
Race across France Tag 8: Das eine Wetterextrem folgt dem anderen
Am nĂ€chsten Morgen wartet der Col de la Machine auf mich, neben dem Cormet de Roselend der schönste Anstieg der ganzen Tour.Â
Auf der Abfahrt duftet es unbeschreiblich gut: Ich kann den Lavendel riechen noch bevor ich ihn sehen kann. Ich bin in der Provence angekommen.Â
SĂŒdfrankreich leidet unter einer enormen Hitzewelle
Leider löst das eine Wetterextrem das andere ab. An Radfahren ist bei 42 Grad am Nachmittag nicht mehr zu denken. Es wird schliesslich 19 Uhr bis ich endlich in Malaucene am Fusse des Ventoux ankomme. Ich bin fertig von der Hitze. Die BĂŒndchen meiner Radhose schnĂŒren mir das Blut in meinen Beinen, die mittlerweile zu ElefantenfĂŒssen angeschwollen sind, ab. Aufgrund der Hitze ist mein Salzhaushalt durcheinander und ich hab am ganzen Körper Wasser eingelagert.
Soll ich oder soll ich nicht? Mont Ventoux bei Nacht
Ich mache Pause in Malaucene, trinke zwei Cola, esse zwei Pain au Chocolat und schneide meiner super teure Radhose an den BĂŒndchen auf. Autsch!! Da blutet das Schwabenherz!Â
Ich bin unsicher, ob ich den Giganten der Provence an diesem Abend noch erklimmen soll oder nicht. Ich treffe auf drei andere Fahrer, die mich ermutigen, weiterzufahren. Dann sei auch das letzte Hindernis geschafft und ich sei ein schneller Kletterer. Na gut. Ich beginne in der schönsten Abendsonne mit dem Aufstieg. Die Poller zeigen mir an, wie weit es noch nach oben ist.Â
Es wird dunkel, als ich um kurz vor 22 Uhr an der Station du Mont Serein vorbeikomme, ein mulmiges GefĂŒhl beschleicht mich. Von da aus sind es zwar nur noch wenige Kehren bis nach oben. Aber an der Baumgrenze werde ich vom Wind schier weggefegt und es ist stockdunkel. Der Turm des Mont Ventoux ragt bedrohlich ĂŒber mir.Â
Als ich den Gipfel erreiche, finde ich das Passschild nicht. Doch Zeit um es zu suchen bleibt nicht. Ich stehe mutterseelenallein hier oben. Ich ziehe mich warm an und mache mich auf die Abfahrt – mit angezogener Bremse und einem Fuss aus dem Pedal, um die Windböen so gut es geht abzufedern. Langsam tuckere ich hinab und bin heilfroh, als ich meinen Schlafplatz in Saint-Colombe mitten in der Nacht erreiche.
Race across France Tag 9: Dream on, Dream on, Dream on!!
Nach diesen acht brutalen Renntagen, die von mir wirklich alles gefordert haben und bei denen ich wirklich alles gegeben habe, nehme ich am letzten Tag einen Gang raus. Ich bin Last Women Standing und weiss, dass ich es schaffen werde. Ich möchte die letzten, mir verbleibenden 313 Kilometer und 4.280 Höhenmeter und das, was Frankreich mir auf dieser finalen Etappe zu bieten hat, geniessen und nicht total fertig im Ziel ankommen.
Es kommt nicht nur darauf an, DASS Du ein Ziel erreichst, sondern auch WIE Du ein Ziel erreichst.
Ich werde nicht enttĂ€uscht: Ich schaue und staune bei meiner Fahrt durch die atemberaubende Gorge de la Nesque, gefolgt von der Gorge du Verdon. Der schönste Canyon Europas, dessen tĂŒrkisblaues Wasser in der Abendsonne glitzert, trĂ€gt die besondere Auszeichnung âGrands Sites de Franceâ. Ich bin unendlich dankbar, das erleben und sehen zu dĂŒrfen – bevor der Klimawandel all das zunichte macht.
Am Abend mache ich nochmals kurz auf einem Campingplatz Halt. Anstatt zu pushen und bis ins Ziel durchzudrĂŒcken, lege ich mich nochmal kurz aufs Ohr. Ich möchte die letzte Abfahrt unbedingt im Hellen fahren, damit ich die Hand von der Bremse nehmen, den Wind im Gesicht spĂŒren und es voll laufen lassen kann. Dieses VergnĂŒgen habe ich mir verdient. Um halb 5 in der FrĂŒh stehe ich noch im Dunkeln auf dem Col de St. BarnabĂ© und wie geplant im Morgengrauen auf dem letzten verbleibenden Col, dem Col de Castellaras.
âOh, sing with me, sing for the year
Sing for the laughter, and sing for the tear
Sing it with me, if it’s just for today
Maybe tomorrow, the good Lord will take you awayâ
Mit Aerosmith âDream onâ im Ohr und dem Mittelmeer im Blick rausche ich von da an 55 Kilometer hinab in die Tiefe. Ich flitze um die Kurven und lasse es laufen: Die RĂ€der, die Freuden-TrĂ€nen und bin wenig spĂ€ter als einzige Frau und Gewinnerin des Race across France in Mandelieu im Ziel.đ„
Race across France â Statistiken & Fahrtauswertung
Da mich so viele von Euch gefragt haben kommen hier ein paar Key Daten (siehe STRAVA) zu meinem Race Across France:
- Gesamtkilometer: 2.599 km
- Höhenmeter: 36.526 hm
- Fahrtzeit: 136:14 Stunden
- Geschwindigkeit: 19,11 km/h
- Gesamtzeit: 229:45 Stunden
- Zeit fĂŒr Schlaf: ca. 48 Stunden
- Zeit fĂŒr Rast: ca. 45 Stunden
Race across France â Fazit
Wow. Das Ding war echt eine Nummer, von 131 Startern sind weniger als die HÀlfte im Ziel angekommen. Das Race across France war sowohl körperlich als auch mental ein hartes Rennen. Ich hatte mit fiesen Wetterkapriolen, Dauerregen und Ultra-Hitze, geschwollenen Beinen und tauben Fingern zu kÀmpfen. Auch nach dem dritten Checkpunkt in MegÚve weiterzufahren, obwohl die Aufgabe auf den ersten Blick aussichtslos erschien, war mental alles andere als einfach.
Die genannten Strapazen sind schnell vergessen.
Was absolut ĂŒberwiegt, ist ein GefĂŒhl des inneren Reichtums, das noch lange nachwirken wird:
- Ich habe in nur neun Tagen so viel von diesem tollen Land gesehen hab, wie wenig andere Leute (Speed-Sightseeing nennt sich dann sowas đ).
- Ich komme mit so vielen tollen Anekdoten von dieser Reise zurĂŒck: wer kann von sich schon behaupten, nachts auf dem Ventoux und im strömenden Regen auf dem Galibier gestanden zu haben, an fremden TĂŒren geklingelt und gegen die Wand, Ă€h den Wind am Atlantik angetreten zu sein?
Ich freu mich natĂŒrlich, dass ich diese schwere Route geschafft hab und sich damit mein Training voll und ganz gelohnt hat (best coach ever: Jas đ). Stolz bin ich aber nicht wegen meiner Leistungsdaten, sondern weil ich nicht aufgegeben hab.
Was aber hat mich angetrieben?
- Zum einen wollte ich unbedingt, dass wenigstens eine Frau dieses Rennen schafft und es nicht heiĂt: Le RAF, câest trop dur pour les femmes! Das RAF ist zu anspruchsvoll fĂŒr die MĂ€dels. Auf gar keinen Fall!!
- Zum anderen hat mich eine zutiefst empfundene Dankbarkeit bis ins Ziel getragen. Ich wollte Nathalie, Vincent, dem Hotelier zeigen, dass sich ihr BemĂŒhen um mich auf jeden Fall gelohnt hat. DANKE auch an die vielen freiwilligen RAF Helfer an den Checkpunkten, ihr seid groĂartig đ
Alles was ich ĂŒber Ultra Racing weiss und auch meine Fitness hab ich mir in den letzten beiden Jahren antrainiert. Davor hatte ich nicht viel mit Ausdauersport zu tun. Ich komme nicht vom Laufen oder vom Rudern, sondern vom Reiten.Â
Dieser Sieg ist deshalb vor allem ein Beispiel dafĂŒr, dass es nicht drauf ankommt WO Du herkommst, sondern nur WER Du sein willst.Â
In diesem Sinne: Allez, allez!
STOP! Hast Du Fragen zum Race across France und gibt es noch etwas, das Dich interessiert? đBevor Du weiter klickst wĂŒrde ich mich RIESIG ĂŒber einen Kommentar von Dir freuen. Danke Dir und mach’s gut! đ€
12 comments
Toller Bericht ĂŒber deine grandiose Leistung. FĂŒr mich war das eine Inspiration fĂŒr mein nĂ€chstes Projekt auf dem Fahrrad. Ich will nĂ€chstes Jahr unbedingt ein unsupported Rennen bestreiten.
Hallo Bejamin,
danke Dir! Freut mich wenn Dir der Bericht gefÀllt.
Meine Bikepacking Event Liste ist zwar noch nicht mit den Daten aus 2023 aktualisiert aber vielleicht findest Du da ja ein Event, an dem du teilnehmen möchtest: https://www.bikepackers.de/bikepacking-events-2022/
Viele liebe GrĂŒĂe und bis zum nĂ€chsten Event,
Sara
Well done Sara, you were incredible x
Anne – you were incredible. And thanks again for the best part of the story: our celebration dinner at the beach đ
Sara! It was so inspiring to watch your dot move along the map as you showed so much grit, determination and mental fortitude to persevere. So many times when it seemed the race wanted to close its doors on you, you showed it who was boss! Women cyclists CAN do this and you showed the way! I am so immensely proud of what you have achieved- you are AWESOME! Thank you for sharing your full account of your RAF – and also for continuing to inspire me. Bella đ
Gratulation zu diesem sensationellen Erfolg! Was fĂŒr ein toller Reisebericht, der zu neuen Abenteuern inspiriert und motiviert! đ€©
Danke Dir Tamara, freut mich wenn es so ankommt, denn das ist auf jeden Fall Sinn und Zweck der Sache đ
Thanks for cheering Bella!!! Your words are super motivating and giving me always a big push to carry on. I love you for that â€ïž
Fetten Respekt, was fĂŒr eine Leistung. Dein „Reisebericht“ liest sich spannender als ein Krimi. Aus Erfahrung muss ich richtig mitleiden, aber nur die Harten kommen in den Garten. Congratulations
hi Erich, DANKE Dir!! Ja, nur die Harten kommen in den Garten, stimmt schon…Wobei in mir echt zwei Herzen schlugen: Racer und Radtourist, denn die Strecke war echt der Oberknaller đ
Lieben GruĂ đ
Sara
Danke fĂŒr den tollen Bericht, Sara. Was fĂŒr eine starke Leistung.
Danke Dir Anja đ